Buddhistische Gemeinschaft Schweiz

 



Buddhismus und Psychotherapie

Kurzreferat von Dr. Rolf Hafner, gehalten an der Dhamma-Konferenz des Zurich Buddhist Vihara am 6. Mai 2006 in Zürich

Es gibt zahlreiche Psychotherapien und Schulen. Die bekanntesten und häufigsten sind die Psychoanalyse (heute ist übrigens der 150igste Geburtstag Sigmund Freuds), die Verhaltenstherapie, die Gesprächstherapie. Den meisten Therapien ist gemeinsam, dass die Gründe für psychische Störungen herausgefunden werden müssen, damit eine Heilung möglich ist oder dass zumindest die Symptome, der psychischen Erkrankung, welche das tägliche Leben im Beruf und in der Familie erschweren und komplizieren, gemildert oder beseitigt werden, wie z.B. die Angst eine Brücke oder einen grossen Platz zu überqueren.

Damit haben Psychotherapie und Buddhismus ein gemeinsames Fundament, nämlich das der Erforschung des Geistes. Was sind die Gründe für meine Angst, oder für meine Wut meinen Zorn, meine  Rachegedanken, meinen Hass, der mich lähmt. Buddhismus ist eine Erkenntnisphilosophie und keine Glaubensdoktrin. Einem agnostischen (übersinnliches Sein ist unerkennbar) Buddhisten liefert die Lehre Buddhas, das Dhamma, Metaphern (vergleichende Bilder) der existenziellen Auseinandersetzung, aber keine Metaphern der existentiellen Tröstung. Die buddhistische Lehre ist kein Glaube, der einen auf wunderbare Weise erlösen wird. Sie ist eine Methode, die genau erforscht und dann ausprobiert werden will. „Sie beginnt damit, dass man dem primären Faktum der Angst nicht mehr ausweicht“ (siehe Stephen Batchelor, Buddhismus für Ungläubige, S. 32). Das Grundthema der Lehre Buddhas, enthalten in den  4 edlen Wahrheiten ist genau die Erforschung der Ursachen der existenziellen Leiden und damit auch das Herausfinden der Gründe, derentwegen wir leiden und Probleme haben, unser Leben zu bewältigen.

Buddha ging von der Tatsache aus, dass Leben Leiden ist, weil wir Krankheit Alter und Tod unterworfen sind. Allein diese Tatsache zu akzeptieren ist für viele Menschen ein grosses Problem. Wir verdrängen sie, obwohl jeder ganz genau weiss, dass er der Krankheit, dem Altern und dem Tod nicht entrinnen kann. Das Problem der Verdrängung, des nicht Wahrhabenwollens, was ist, weil nicht ist, was nicht sein darf, ist eine der Hauptursachen für geistiges Leiden.  Wir verdrängen, was uns unangenehm ist, nämlich unsere eigenen Unvollkommenheiten. Die Verdrängung ist nach Freud die Ursache zahlreicher Neurosen. Der Mensch hat die Tendenz, sich besser zu sehen, als er ist. Nicht ich, die anderen sind schlecht, mies egoistisch, nur auf den eigenen Vorteil bedacht. „Unsere Scheu vor der nackten Unmittelbarkeit des Lebens sitzt sehr tief, und ihr ist schwer beizukommen. Auch der glühende Wunsch, im gegenwärtigen Augenblick wach und bewusst zu sein, bewahrt uns nicht vor den dümmlichen und ermüdenden Vergangenheits- und Zukunftsphantasien unseres Geistes. Diese Sucht, anders und anderswo zu sein, durchtränkt Körper, Gefühle, Wahrnehmungen, den Willen – das Bewusstsein insgesamt. Sie ist wie die Hintergrundstrahlung vom Urknall der Geburt, eine Art Nachbeben unseres Ausbruchs ins Leben“ (Batchelor, S. 39).

Wir flüchten vor unangenehmen Gefühlen, unterdrücken sie, indem wir versuchen, sie gar nicht hochkommmen zu lassen. Ich will nicht hassen, zornig, wütend oder gierig sein. In der buddhistischen Lehre, wird genauso wie in zahlreichen Psychotherapieschulen gelehrt, solche Gefühle und unangenehmen Emotionen zuzulassen, sie anzuschauen, sie als Realität zu akzeptieren. Dies ist die Voraussetzung einer Heilung. Man kann nur loswerden, was man vorgängig überhaupt einmal als Realität akzeptiert hat. Hiezu ist auch die Vipassana-Meditation hilfreich, die uns ermöglicht, alle auftauchenden Gedanken anzuschauen, sie an uns vorbeiziehen zu lassen und uns gleichwohl ermöglichen mit der Konzentration auf die Ein- und Ausatmungsbewegung zur Beruhigung zu kommen. Dem entspricht in der Psychoanalyse das freie assoziative Aeussern aller während der Therapiesitzung auftauchenden Gedanken.

Wie können wir uns nach der buddhistischen Lehre von unangenehmen, bedrohlichen Gefühlen befreien? Was können wir tun, damit sie ihre Angst machende Potenz verlieren? Die Methode ist, sich nicht mit ihnen zu identifizieren und sie stattdessen als unpersönliche Phänomene der menschlichen Natur zu akzeptieren. Nur dann verlieren sie ihre Angst machende und unsere Aktivitäten lähmende Potenz. Die Lehre von der Substanzlosigkeit aller Phänomene (anatta, siehe Anmerkung unten) ist der Schlüssel zur Befreiung. Das tief verwurzelte Gefühl von persönlicher Identität ist reine Fiktion, ein tragischer Irrtum, der allem Begehren und aller Angst zugrunde liegt. Die Vorstellung eines statischen Ichs hindert uns daran, uns und andern begangene Fehler zu verzeihen und uns von negativen Prägungen der Vergangenheit zu befreien. Sie steht der persönlichen Emanzipation im Weg.

* Anmerkung: anatta bedeutet „Nicht-Selbst“ bzw. „Nicht-Ich“.

Diese Lehre von der Unpersönlichkeit besagt, dass es weder innerhalb noch ausserhalb der körperlichen und geistigen Daseinserscheinungen irgend etwas gibt, das man im höchsten Sinn als eine für sich bestehende Ich-Wesenheit oder Persönlichkeit bezeichnen könnte. Es ist dies die Kernlehre des ganzen Buddhismus, ohne deren Verständnis eine wirkliche Kenntnis des Buddhismus schlechterdings unmöglich ist. Wer die Unpersönlichkeit des ganzen Daseins nicht durchschaut hat und nicht erkennt, dass es in Wirklichkeit nur diesen beständig sich verzehrenden Prozess des Entstehens und Vergehens geistiger und körperlicher Daseinsphänomene gibt, aber keine Ich-Wesenheit in oder hinter diesen Daseinserscheinungen, der ist ausserstande die vier Edlen Wahrheiten (sacca) im richtigen Licht zu erfassen (Nyanatiloka, Buddhistisches Wörterbuch, Verlag Christiani, Konstanz, 1983; siehe auch die Anatta-Predigt, Mahavagga I, 6, 38-46) .

Das primäre Ziel ist nicht, nie mehr Angst zu haben, nie mehr zu hassen, nie mehr einer obsessiven Gier unterworfen zu sein, sondern solche Emotionen  zuzulassen, wenn sie aufkommen und sie als allgemeine, zu jedermanns Natur gehörende periodische Geisteszustände zu akzeptieren. Nur dann werde ich mich von ihrer krankmachenden potenziellen Gefahr befreien können, nur dann werde ich dem blinden Hass, der nackten mich beherrschenden Gier nicht mehr wehrlos ausgeliefert sein. Dies ist der Weg zu Befreiung. Buddha wurde selbst nach seiner Erleuchtung von solchen Emotionen bedrängt. Stichwort: „I know you Mara“. Er sagte also nicht, ich werde nun für immer frei sein von solch unangenehmen Geisteszuständen, wie Hass Gier oder Illusionen. Ich bin nun für immer geheilt. Nein ihm können solche Emotionen nichts mehr anhaben. Er sieht sie, lässt sich aber nicht von ihnen beherrschen oder zu unbedachten, das Problem noch verschlimmernden Reaktionen verleiten. Dies ist die Lösung, nicht ich will von nun an nie mehr gierig sein. Ich will nie mehr hassen, nur noch lieben. Dies ist eine Folge des buddhistischen Erkenntnisweges, aber nicht eine Voraussetzung für die Erleuchtung. Die buddhistische Lehre garantiert nicht, dass solche unangenehmen Gedanken nie mehr auftauchen und wir vor existentiellen Krisen geschützt wein werden. Sie bewahrt uns aber davor, in Krisen unbedacht zu reagieren und existentielle Probleme zu vergrössern. Wir lernen, sie zu lösen.